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Künstliche Intelligenz (KI) ist längst nicht mehr nur eine Vision der Zukunft – sie hat bereits einen festen Platz in unserer Gegenwart eingenommen. Doch um den vollen Wert dieser Technologien auszuschöpfen und im Wettbewerb bestehen zu können, reicht es nicht aus, sich allein auf die Implementierung neuer Tools zu konzentrieren. Mindestens genauso entscheidend ist die Entwicklung und Förderung von KI-Fähigkeiten innerhalb der Belegschaft. In diesem Kontext erlebt die Arbeitswelt eine tiefgreifende Transformation, die durch den rasanten technologischen Fortschritt vorangetrieben wird. Besonders die Integration von KI in den Bereich Learning & Development (L&D) eröffnet völlig neue Möglichkeiten, Lernprozesse effizienter, individueller und zugänglicher zu gestalten. Es geht dabei um weit mehr als die bloße Automatisierung administrativer Aufgaben. Vielmehr steht die Schaffung einer dynamischen Lernkultur im Vordergrund, die es den Mitarbeitenden ermöglicht, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln und an die sich ständig ändernden Anforderungen des Arbeitsmarktes anzupassen. In unserem Gespräch mit unseren Co-Foundern tauchen wir tief in die Welt der KI ein und beleuchten, was diese Entwicklungen für Organisationen, Personalentwickler:innen aber auch Lernende bedeutet.
Marius: Aus Unternehmenssicht würde ich den Klarna-KI-Case hervorheben. Klarna hat vor ein paar Monaten bekannt gegeben, dass sie heute fast zwei Drittel aller Service-Chats über eine GPT-Variante abwickeln können – und das tatsächlich ohne "Human-in-the-loop".
Den größten Wow-Effekt hatte ich aber beim Sora-Update. Zu sehen, was auf der Sprach- und Videoseite schon möglich ist, ist wirklich beeindruckend. Spannend ist auch die Partnerschaft zwischen Figure und OpenAI. Figure hat vor einiger Zeit ein Video veröffentlicht, das einen Roboter zeigt, der in Echtzeit Gespräche führt, argumentiert und Objekte manipuliert - und dabei einfach sehr “menschlich” wirkt.
David: Ein weiterer faszinierender Use Case ist der von Devin. Hier wurde ein AI Software Engineer entwickelt, der einen kompletten Entwickler simulieren kann. Dieser kann selbstständig nach Lösungen googeln und komplette Argumentationsketten aufbauen. Ich glaube tatsächlich, dass dieser “Agent-Case” in vielen wiederkehrenden Aufgabenpaketen nicht nur im Learning and Development, sondern auch in anderen Bereichen als Kerntechnologie in Zukunft dienen wird.
Marius: Für mich gibt es im Wesentlichen drei wichtige Anwendungsbereiche. Der erste Bereich ist die Sprach-KI, die ich am häufigsten verwende. Sie hilft mir, meine Gedanken in das System einzugeben und sie vorab zu strukturieren, damit ich mit einer gut organisierten Textversion weiterarbeiten kann. Zweitens schätze ich es, wenn die KI die Rolle des „Devil’s Advocate“ übernimmt und mir zeigt, wo meine Fehler liegen und was noch unklar ist. Und drittens natürlich das Thema Lernen. Die KI analysiert im Vorfeld, welche wichtigen Bausteine zum Erlernen einer Fähigkeit notwendig sind und überprüft, ob man diese Fähigkeit auch wirklich verstanden hat.
David: Für mich lassen sich die Anwendungsfälle grob in zwei Kategorien einteilen. Die erste ist das Brainstorming, also die Überwindung des Blank-Page-Problems. Wenn ich zum Beispiel eine Präsentation zu einem bestimmten Thema vorbereiten oder ein Produktmemo schreiben muss, hilft es mir oft, wenn ich die offensichtlichen Kernaussagen bereits vorformuliert habe.
Die zweite Kategorie, die für mich immer spannender wird, ist die Aggregation. Hier geht es darum, die gesammelten Informationen in einer prägnanten Headline zusammenzufassen oder die passende Metapher zu finden, die das Wesentliche ausdrückt. Bei dieser Aggregationsarbeit haben mir GPT und generell Generative KI in letzter Zeit enorm geholfen.
David: Das ist eine äußerst spannende Frage, die nicht nur Learning and Development-Abteilungen beschäftigt, sondern langfristig für jede einzelne Person relevant sein kann. Generative KI ist eine sogenannte General Purpose Technology, die tatsächlich alle Bereiche betrifft.
Wir beobachten häufig, dass der Einsatz von KI oft bei Führungskräften beginnt, die dabei eine zentrale Rolle spielen. Sie müssen die Grundzüge der KI verstehen, sie selbst anwenden und die Fähigkeiten entwickeln, den Rest ihrer Organisation zu inspirieren. In Bezug auf KI sind es oft Meta-Skills, die notwendig sind und oft fehlen: das Verstehen, Anwenden und Ausprobieren von KI, der Mut, neue Dinge zu testen, die Weitsicht und die Fähigkeit, andere zu inspirieren. Ebenso wichtig ist es, die Grenzen der KI zu kennen und sicherzustellen, dass Führungskräfte die Technologie aktiv anwenden. Schließlich müssen sie dieses Wissen an ihre Mitarbeitenden weitergeben.
Zu guter Letzt, was fehlt auf Mitarbeiterebene: Vor allem der Mut, die eigene Arbeit zu disruptieren und zu hinterfragen: Wo kann mir KI helfen, besser oder effizienter zu werden? Sich die eigenen Aufgabenbereiche anzuschauen und zu schauen, wo KI mich heute schon unterstützen kann.
David: Es beginnt immer an der Spitze, also bei den C-Level-Führungskräften, die Offenheit gegenüber neuen Prozessen und Geschäftsmodellen zeigen müssen. Das ist die absolute Grundlage für jeden innovativen Arbeitsprozess.
Der zweite Schritt ist, die Mitarbeitenden und insbesondere die Führungskräfte mit den Grundlagen vertraut zu machen. Das umfasst die Theorie: Was ist generative KI? Was kann sie, was kann sie nicht? Gleichzeitig müssen die richtigen Tools bereitgestellt werden, damit die Mitarbeitenden diese Technologien überhaupt nutzen können.
Das letzte große Modul ist das Upskilling im Bereich Ethik und Governance. Hierbei geht es darum, was wir als Unternehmen und Führungskräfte beachten müssen, um KI im Sinne des Gemeinwohls einzusetzen und Risiken zu minimieren.
Marius: Für unsere L&D-Administrator:innen gibt es eine Reihe von wiederkehrenden Arbeitsabläufen, bei denen wir Generative KI heute schon hervorragend einsetzen können. Das beginnt bei klassischen Tätigkeiten wie der Pflege von Metadaten. Wann immer wir Beschreibungen erstellen müssen, sei es für neue Kursbeschreibungen oder Bildunterschriften, kann uns KI diese Aufgaben abnehmen, so dass wir nicht mehr manuell eingreifen müssen.
Darauf aufbauend können wir zu komplexeren Aufgaben übergehen, die mehr Kontext erfordern. Ein häufiges Beispiel ist das Konzept des Skill-Taggings. Wir haben unstrukturierte Daten aus Trainingskatalogen, die mit den Skills aus einer Skill-Taxonomie verknüpft werden müssen. Ich glaube, dass Skill Management ein grundlegender Anwendungsfall sein wird, der heute viel einfacher ist als in der Vergangenheit.
Wenn ich mir die Geschichten von Kunden anhöre, die vor fünf bis zehn Jahren versucht haben, eine Skill-Taxonomie in ihrem Unternehmen zu etablieren, ist der Aufwand und das Budget für solche Aktivitäten heute sechs- bis zehnmal geringer. Eine der größten Herausforderungen war es, zunächst eine Basis an unternehmensspezifischen Skills zu schaffen und Duplikate zu identifizieren. Dies war besonders in den Fällen eine Herausforderung, in denen es darum ging, den Kontext zu verstehen, d.h. Wörter, die unterschiedlich aussehen, aber die gleiche Bedeutung haben. Genau das haben wir zum Beispiel für Großkunden wie die Deutsche Bahn gemacht.
Ein weiteres wichtiges Anwendungsgebiet ist die Erstellung von Lernmaterialien. Dies ist oft der bekannteste Anwendungsfall. Spannender wird es jedoch, wenn wir wissen, welche Materialien wir erstellen müssen. Auf der Grundlage des Trainingskatalogs und des Abgleichs mit unserem Skill-Katalogs können wir erkennen, wo unsere Lücken sind und welche Materialien kurzfristig erstellt oder bereitgestellt werden sollten, weil wir wichtige Fähigkeiten identifiziert haben, die wir derzeit in unserem Unternehmen nicht abdecken.
David: Content-Provider könnten künftig als eine Art Content-Generation-Engine fungieren, die auf bestimmten Datensätzen basieren und sich an didaktischen Erfahrungen oder Ideen orientieren. Was diese Unternehmen besonders macht, ist dann nicht mehr die bessere Kamera, das bessere Setting oder die beeindruckenderen Studios, sondern die Systeme und Agents im Hintergrund, die den Content produzieren können. Ich glaube, dass es weiterhin Content-Provider geben wird, aber es werden nicht mehr die traditionellen Content-Produzenten sein, die wir heute kennen.
David: Nach langen Überlegungen, vielen Gesprächen und Experimenten war für uns als Produkt-Team bei edyoucated klar, dass die wahre Transformation weniger in der Erstellung von Materialien liegt, sondern eher in der Navigation und dem „Wie“ des Lernens.
Das bedeutet zunächst: Wie finde ich den nächsten besten Kurs für mich und wie lerne ich die nächste beste Fähigkeit? Wir nennen das oft Makro-Personalisierung. Das heißt, dass die KI mir den bestmöglichen Kurs oder Skill vorschlagen kann, basierend auf meinem aktuellen Wissensstand und meinen Zielen. Dann gibt es natürlich die Mikro-Personalisierung, die auf Kursebene stattfindet, also adaptive Lernpfade. Das ist nicht neu, aber entscheidend, um den Lernenden den effizientesten Weg zum Ziel zu ermöglichen. Und erst dann kommt für mich die große KI-Revolution bei den Lernmaterialien.
Es gibt jedoch einen speziellen Anwendungsfall auf der Ebene der Lernmaterialien, von dem ich sehr überzeugt bin: Simulationen. Dabei wird zum Beispiel eine Chat-basierte KI eingesetzt, um den Kundenservice zu trainieren, indem sie die Rolle eines verärgerten Kunden einnimmt. Das hat mehrere positive Effekte. Erstens wird kein direkter Sparringspartner benötigt, was Zeit und Kosten spart. Zweitens werden die Lernenden motiviert, Dinge auszuprobieren und sind offener dafür, Fehler zu machen. Learning-by-doing ist immer noch die beste Art zu lernen.
Marius: Was ich zudem besonders spannend finde, neben den klassischen Lernformaten und Simulationen, ist der Gedanke des Zero-Cost-Tutoring. Es ist erwiesen, dass eine eins-zu-eins-Betreuung nachhaltige positive Effekte auf den Lernerfolg hat. Genau hier kann generative KI ansetzen und auf Basis gesammelter Daten ein agiles Tutoring auf Augenhöhe bieten. Das System weiß, was ich mir gerade angeschaut habe, was ich bisher gelernt habe und was meine Ziele sind.
Das ermöglicht formales Training anhand von Praxisbeispielen. Ich glaube, das wird einen dramatischen Einfluss darauf haben, was in Unternehmen möglich ist. Ich persönlich glaube, dass dies eine der Hauptfunktionen sein wird, die Learning Management Systeme in 5 bis 10 Jahren standardmäßig beinhalten werden.
Marius: Die Rolle der L&D-Teams wird sich zunehmend zu der eines Geschäftspartners entwickeln, der strategische Entscheidungen unterstützt und Skills an die Unternehmensstrategie anpasst. Klassische L&D-Manager werden weniger gefragt sein, da sich der Schwerpunkt von didaktischen und trainingsorientierten Aufgaben hin zu datengetriebenen und strategischen Positionen verschiebt.
Der Einsatz von KI ermöglicht eine transparentere Organisation, in der Skills und Aufgaben besser aufeinander abgestimmt werden können, was zu effizienteren Arbeitsabläufen führt. Künftige L&D-Teams werden sich stärker auf datengestützte Entscheidungen konzentrieren und weniger manuelle Aufgaben ausführen. Ein Beispiel hierfür wäre der Übergang von der Erstellung von Präsentationen zu intelligenteren Lösungen, die Informationen auf Abruf bereitstellen. Laufende Datenanalysen werden durch KI-gesteuerte Tools ersetzt, die Entscheidungsträger aktiv informieren und relevante Informationen anzeigen, was zu einer besseren Entscheidungsfindung führt.
Danke für eure Zeit und wir freuen uns auf das nächste Founder-Interview.
edyoucated wird von führenden Forschungseinrichtungen wie dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), dem Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) gefördert.